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Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers innerhalb insolvenzreifer Zeit

Am 10.08.2001 beantragten zwei Geschäftsführer einer GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für ihr Unternehmen. Sie führten jedoch die an diesem Tage fällige Lohnsteuer für Juli nicht mehr an das Finanzamt ab.

Der Fiskus sah in diesem Verhalten eine „grob fahrlässige Pflichtverletzung“ und forderte die Geschäftsführer auf, das fehlende Geld im Rahmen ihrer persönlichen Haftung aus privaten Mitteln zu begleichen. Die Ge-schäftsführer waren – wie sich später herausstellte – durch einen unfundiert Ratschlag des Insolvenzverwalters der Meinung, durch Nichtzahlung nach Insolvenzantrag keine anfechtbare Rechtshandlung zu begehen. Sie ar-gumentierten, dass sie sich am Tage des Insolvenzantrages nicht mehr berechtigt fühlten, die fällige Lohnsteuer abzuführen. Nach allgemeiner Meinung wäre es doch so, dass das vorhandene Vermögen für die Gläubiger zu schützen sei und dem Insolvenzverwalter zur Verfügung gestellt werden müsse.

Der Bundesfinanzhof stellte jedoch klar, dass solange liquide Mittel zur Verfügung stünden, die Geschäftsführer entsprechend die Lohnsteuer abführen müssten, und zwar unabhängig von etwaigen Interessen der Gläubiger.

Erst die tatsächliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die hier am 31.10.2001 vorlag und damit gut 11 Wo-chen nach dem Insolvenzantrag erfolgte, würde die Geschäftsführer von ihrer Zahlungspflicht entbinden, argu-mentierte der Bundesfinanzhof.

Geht man zu der Zeit zurück, wo das neue Insolvenzgesetz durch die Gesetzgeber geschaffen wurde, so war hier die allgemeingültige Aussage getroffen, dass alle Gläubiger gleich behandelt werden sollten. Mit diesem Urteil zeigt sich wieder, dass die Gerichtsbarkeit – und hier vor allem die Finanzgerichte – immer noch das „alte Den-ken der bevorrechtigten Berufsgläubiger“ vermitteln und vertreten.

So argumentierten die Richter des Bundesfinanzhofes in ihrem Urteil vom 23.09.2008 unter dem Aktenzeichen VII R 27/07, dass

1. die GmbH-Geschäftsführer allein durch den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht von der Haftung wegen Nichtabführung der einbehaltenen Lohnsteuer befreit würden.

2. Bei noch vorhandenen liquiden Mitteln zum Zeitpunkt der Lohnsteuer-Fälligkeit besteht die Verpflichtung der Geschäftsführer zur Abführung so lange, bis entweder ein starker Insolvenzverwalter bestellt wird oder aber das Insolvenzverfahren eröffnet und den Geschäftsführern somit die Verfügungsbefugnis entzogen würde.

Leider entspricht dies nicht der Realität, da in der Regel die Geschäftsführer einer GmbH durch nicht vor-handene Rechtskunde so unsicher in dem Verhalten gegenüber einem „schwachen“ vorläufigen Insolvenz-verwalter sind, dass allein „ ein Räuspern“ des vorläufigen Verwalters ausreicht, um die Geschäftsführer zu verunsichern. Regelmäßig wird ein erfahrener (vorläufiger) Insolvenzverwalter im Rahmen der Sicherung des Vermögens natürlich kein Zugeständnis zur Abführung von Lohnsteuer und/oder auch Umsatzsteuer ge-ben. Naturgemäß eröffnet auch der vorläufige Insolvenzverwalter sehr schnell ein Insolvenz-Konto, worauf er dann die eingehenden Gelder eingehen lässt. Somit haben die Geschäftsführer im Rahmen des vorläufi-gen Insolvenzverfahrens keine Verfügungsgewalt über das Geld.

Wichtig: Bei einem frisch eröffneten vorläufigen Insolvenzverfahren müssen der oder die Geschäftsführer oder die Inhaber des Unternehmens den vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter schriftlich darauf auf-merksam machen, dass er (der Insolvenzverwalter) die Zahlungen an Sozialversicherungsträger und Finanz-amt ausführen soll. Sollte der oder die Geschäftsführer bzw. die Inhaber keine Kontoverfügung über das In-solvenzverwalter-Konto haben, so besteht hier eine Unmöglichkeit der Zahlung. Die Haftungsfrage wäre dann eine andere, da der Unternehmer zwar zahlungswillig aber aufgrund des Verhaltens des vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalters nicht zahlungsfähig wäre. Zwingend notwendig ist, dass die Geschäftsfüh-rung dem Insolvenzverwalter ein Schreiben (mit Zugangsnachweis) zukommen lässt, indem er ihn dezidiert auffordert, die Zahlungspflicht des Geschäftsführers / Inhabers im Rahmen des vorläufigen Verfahrens zu erfüllen.

Erfüllt der vorläufige (schwache) Verwalter die Zahlung nicht, dann kann bei einer späteren Inanspruch-nahme des Geschäftsführers / Inhabers im Rahmen der persönlichen Haftung der Nachweis der Unmöglich-keit erbracht werden.

3. Die Haftung ist eben auch nicht ausgeschlossen, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern (auch auszu-tauschen mit den Sozialversicherungsbeiträgen) in die dreiwöchige Schonfrist fällt, die der Geschäftsfüh-rung zur Sicherung der Masse ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 InsO in Verbin-dung mit § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt ist.

Dies setzt allerdings voraus, dass der bisherige Geschäftsverlauf bis zum Eintritt der Krise so verlief, dass sowohl das Finanzamt als auch die Sozialversicherungsträger immer pünktlich bedient wurden und nicht „bösgläubig“ sind.

Die Kläger bzw. Revisionskläger (Kläger) können zusammen mit einem weiteren Gesellschafter / Ge-schäftsführer einer GmbH gegen die persönliche Haftung klagen. Neben den besagten Geschäftsführern hielt ein dritter Gesellschafter die übrigen 75% der Gesellschaftsanteile (Mehrheitsgesellschafter).

Die Anmeldung für die Lohnsteuer der GmbH für Juli 2001 über insgesamt ca. € 79.250,00 ging am 06.08.2001 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt) ein.

Am 10.08.2001 wurde durch die Geschäftsführer Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt. Der Insolvenzgrund wurde mit drohender Zahlungsunfähigkeit bzw. Zah-lungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO angegeben.

Erst einen Monat später wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und am 31.10.2001 das Insol-venzverfahren eröffnet.

Das Finanzamt nahm die Geschäftsführer gemäß §§ 69, 34, 35 der Abgabeordnung (AO) wegen der am Ta-ge des Eröffnungsantrages fälligen, nicht abgeführten Lohnsteuer für Juli 2001, in persönlicher Haftung.
Die Kläger legten nach erfolglosem Einspruch im Klageverfahren dar, dass aus ihrer Sicht keine grobe fahr-lässige Pflichtverletzung begangen wurde.

Sie begründeten dies damit, dass der Mehrheitsgesellschafter die rund € 8.000.000,00 Verbindlichkeiten der GmbH durch Darlehen mit Rangrücktritt gesichert hätte (Überschuldungsproblematik), wodurch die Liqui-dität noch durch Zahlung eines Teilbetrags von € 175.000,00 auf ein am 29.06.2001 vereinbartes Darlehen über € 175.000,00 aufrecht erhalten wurde. Er gab eine Woche später am 03.08.2001 ohne Angabe von Gründen überraschend bekannt, dass eine weitere Finanzierung nicht länger möglich sei. Am 31.07.2001 seien liquide Mittel in Höhe von ca. € 70.000,00 und am 31.08.2001 in Höhe von ca. € 147.000,00 vorhan-den gewesen. Auch trugen sie vor, dass bei der Hausbank kurzfristig ein Darlehen zur Überbrückung von Liquiditätsproblemen hätte aufgenommen werden können.

Zum Zeitpunkt des Insolvenzantrages habe die GmbH somit über genügende Mittel verfügt, die eine Zah-lung der Lohnsteuer 07/2001 ohne weiteres möglich gemacht hätte.

Als Grund für die Nichtabführung der Lohnsteuer gaben sie an, dass am Tag der Insolvenzanmeldung die Insolvenzrichterin und der spätere Insolvenzverwalter Aussagen gemacht hätten, die eine Abführung der Lohnsteuer aus Insolvenzrechtssicht nicht nötig bzw. „ungesetzlich“ machten (Die tatsächlich gemachten Angaben sowohl der Insolvenzrichterin als auch des späteren Insolvenzverwalters werden wahrscheinlich mit dem Anfechtungsrecht nach § 130 InsO zu tun gehabt haben!) Aufgrund der Auskünfte haben sich die Geschäftsführer nicht länger berechtigt gefühlt, die Zahlungen aus der Masse der GmbH zu leisten.

Das Finanzgericht (FG) hob den Bescheid unter der Voraussetzung auf, dass die Kläger für Säumniszu-schläge in Haftung genommen worden waren. Wegen der Hauptforderung blieb die Klage erfolglos. Das Fi-nanzgericht urteilte, die Kläger haben pflichtwidrig und grob fahrlässig unterlassen, die für den Monat Juli 2001 einbehaltene und angemeldete Lohnsteuer bis zum 10. des Folgemonats an das Finanzamt abzuführen.

Die Stellung des Insolvenzantrages am 10.08.2001 ändere an diesen Fakten nichts, da die bloße Antragstel-lung auf die Verfügungsbefugnis des Geschäftsführers keinen Einfluss habe. (Hier wurde tatsächlich richtig argumentiert, da formal juristisch der oder die Geschäftsführer bei der Bestellung eines vorläufigen (schwa-chen) Insolvenzverwalters bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Pflicht bleiben. Ob und inwie-weit sie ihre Pflicht erfüllen können, hängt vor allem auch davon ab, ob der schwache vorläufige Insolvenz-verwalter ihnen eine Verfügungserlaubnis – auch über eingehendes Geld – einräumt.

Die Rechtfertigung ihres Handelns oder die Gründe der Entschuldigung haben die Kläger aus Sicht des Gerichts nicht glaubhaft dargelegt. Zwar habe die Vernehmung der Insolvenz-Richterin bestätigt, dass am 10.08.2008 ein Gespräch stattgefunden habe, der Inhalt dieses Gesprächs hatte aber wohl eher allgemeingültigen Charakter und die Insolvenz-Richterin konnte sich auch an den Vorfall nicht mehr erinnern.

Die Beweisaufnahme habe auch nicht ergeben, dass der Insolvenzverwalter den Klägern anläßlich des Gesprächs am 13.08.2001 untersagt habe, die Lohnsteuer 07/2001 zu zahlen. (Grundsätzlich wird ein „passiv“ eingestellter vorläufiger schwacher Verwalter immer versuchen, keine eindeutigen Aussagen zu machen, obwohl er die Sach-lage voll erfasst hat und einen Überblick über das Verfahren hat.) Im Sinne des Verfahrens wird ein Verwalter immer verklausuliert erklären, dass keine Zahlungen durch den Geschäftsführer zu erfolgen haben, damit er letztendlich erst einmal liquide Mittel im Rahmen des vorläufigen Verfahrens hat. Auch haben die Kläger (Ge-schäftsführer) es versäumt, hier fachkompetente insolvenzrechtserfahrenen Anwälte zu konsultieren.

Der Insolvenzverwalter konnte sich nicht mehr konkret an das Vorgespräch erinnern. Die allgemein gehaltene Aussage, er selbst würde – wenn er in der Position des Geschäftsführers wäre – im Hinblick auf eine mögliche Insolvenzanfechtung oder eine etwaige Schadenersatzpflicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG die Zahlung nicht mehr anweisen, haben beim Kläger damit den Eindruck erweckt, es sei nun wirklich besser, die Lohnsteuer nicht mehr zu zahlen (siehe oben).

Allein die Interessenlage des befragten späteren Insolvenzverwalters ist eine andere und er wird nie die Ge-schäftsführer eines insolventen Unternehmens parteilich im Sinne einer möglichen Haftung aus Inanspruchnah-me des Finanzamtes beraten können und wollen. Die Entscheidung, hier die Lohnsteuer nicht abzuführen, würde allein auf den Kläger und nicht auf einen Irrtum über seine Verfügungsberechtigung im Insolvenzverfahren be-stehen. Auch haben sich die Kläger mehr Zeit genommen, um neue Investoren zu suchen, als sich über die Fra-gen hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten im vorläufig eröffneten Insolvenzverfahren zu informieren.

Für die Kläger ergaben sich auch keine Entschuldigungsgründe daraus, dass die öffentlich-rechtliche Verpflich-tung zur Steuerzahlung möglicherweise mit privatrechtlichen Schadenersatzverpflichtungen gem. § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz in Konkurrenz getreten wären (siehe hier auch den Beschluss des Bundesgerichtshofs – BFH – vom 21.12.1988 unter VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745).

Da zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer (10.08.2001) die Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO noch nicht vorlag, würde die Kausalität der Nichtzahlung der Lohnsteuer für den Steuerausfall entfallen, da nicht schon hypothetisch mit einer Anfechtung der Lohnsteuerzahlung durch den Insolvenzverwalter gem. § 130 Abs. 1 InsO zu rechnen war.

Die Kläger beriefen sich in der Revision zunächst auf die fehlende Kausalität der Nichtabführung der Lohnsteuer für den Steuerausfall. Der Insolvenzverwalter hätte gem. § 130 Insolvenzordnung die Zahlung anfechten können, weil zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer wegen der gekündigten weiteren Kreditierung durch den Mehrheitsgesellschafter am 03.08.2001 und dem Ausbleiben der für diese Woche avisierten Zahlung der – u. a. – durch die Fälligkeit der Lohnsteuer gegebene Liquiditätsbedarf nicht mehr gedeckt werden konnte. Weiterhin legten die Kläger unter Bezug auf das Senatsurteil vom 27.02.2007 VII R 67/05 (BFHE 216, 491) dar, dass kein grob fahrlässiges Verhalten der Kläger vorgelegen habe, da sie sich in diesem Zeitraum noch innerhalb der Schonfrist gem. § 64 Abs. 1 GmbHG befunden hätten. Zwar seien am 10.08.2001 noch entsprechende liquide Mittel vorhanden gewesen, um die Lohnsteuer für den Monat Juli 2001 zu zahlen, aber bezogen auf die Gesamt-verbindlichkeiten habe Zahlungsunfähigkeit im Sinne der Rechtsprechung des BGH bestanden, weil innerhalb der 3-Wochen-Frist eine nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von mehr als 10% der fälligen Gesamtverbind-lichkeiten vorgelegen habe (Hinweis auf das BGH-Urteil vom 24.05.2005 unter IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134).

Am Ende machten die Kläger noch geltend, dass das Finanzgericht bei gehöriger Würdigung der Zeugenaussa-gen des Insolvenzverwalters sowie der Insolvenzrichterin zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass sie sich aufgrund ihrer Rückfragen in einem entschuldbaren Rechtsirrtum darüber befunden haben, dass Zahlungen an die entsprechenden Gläubiger untersagt seien (nochmals sei darauf hingewiesen, dass sowohl der Insolvenzver-walter, als auch der Insolvenzrichter hier keine wirkliche parteiliche Aussage machen konnten). Nach dem Ver-ständnis der Kläger waren die eingeholten Informationen von Seiten zweier insolvenzrechtlich erfahrenen Perso-nen ausreichend gewesen, um die Entscheidung zu treffen, dass eine freie Verfügung über die Zahlung oder Nichtzahlung der Lohnsteuer unmöglich gewesen sei. Das Finanzamt wies darauf hin, dass seit dem BFH-Urteil vom 05.06.2007 VII R 65/05 (BFHE 217, 233, BstBl II 2008, 273) schon geklärt sei, dass hypothetische Kausal-verläufe die Haftungsinanspruchnahme nach den §§ 69, 34 AO nicht in Frage stellen könnten und der BGH zwischenzeitlich unter Angabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden habe, dass Geschäftsführer, die bei Insolvenzreife ihrer Gesellschaft Lohnsteuer abführen würden, eine so genannte „erlaubte“ Zahlung leisten wür-den und damit der Gesellschaft gegenüber nicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG erstattungspflichtig seien. Deshalb hätten sich die Kläger in keiner die Nichtabführung der Lohnsteuer entschuldigenden Pflichtenkollision befun-den. Die Pflichtverletzung kann auch nicht auf die bei der Richterin und dem Insolvenzverwalter eingeholten Informationen zurückgeführt werden, zumal diese Personen nach Aktenlage und dem Ergebnis der Beweisauf-nahme keine Anweisungen erteilten, sondern lediglich (sehr rudimentär) Ratschläge bzw. Empfehlungen abge-geben hätten.


Die Revision ist begründet. Das Urteil des Finanzgerichts verletzt Bundesrecht (§ 18 Abs. 1 der Finanzgerichts-ordnung – FGO –).

Das FG hatte zutreffend erkannt, dass die Kläger als Geschäftsführer der GmbH zur Abführung der einbehalte-nen Lohnsteuer 7/2001 am 10.08.2001 verpflichtet waren. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten dieses Streitfalles kann die Nichterfüllung dieser Pflicht aber nicht als grob fahrlässig gewertet werden.

1. Gem. § 69 Satz 1 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO haften die gesetzlichen Vertreter einer GmbH, soweit Ansprü-che aus dem Steuerverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferleg-ten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgestellt oder erfüllt worden sind. Damit trifft den Geschäfts-führer einer GmbH u. a. die Pflicht, die von der GmbH geschuldeten Lohnsteuern zu begleichen (§ 41a Abs. 1 Einkommensteuergesetz).

a) Nach vorliegender und ständiger Rechtsprechung des Senats stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten im Regelfall eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar. Grundsätzlich ändern Zahlungsschwierig-keiten der GmbH weder etwas an der Pflicht des GmbH-Geschäftsführers, noch schließen sie sein Ver-schulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH aus.

b) Diese Pflichtverletzung des Geschäftsführers begründet allerdings dann keine Haftung nach § 69, 34 AO, wenn der Steuerausfall mangels nicht vorhandener Zahlungsmittel der GmbH unabhängig davon eintritt, ob Steueranmeldungen fristgerecht eingereicht und die geschuldeten Steuerbeträge innerhalb der gesetz-lich dafür bestimmten Fristen bezahlt worden sind.

Die Beweislage war hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer eindeutig. Die Kläger selbst hatten ausgesagt, dass bei Fälligkeit der Lohnsteuer 7/2001 der GmbH noch die erforderlichen Zahlungsmittel zur Verfügung gestanden hätten.

Dabei ist es auch unerheblich, dass nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig dann von Zahlungsun-fähigkeit ausgegangen werden kann, wenn die Liquiditätslücke des Schuldners 10% oder mehr seiner fäl-ligen Gesamtverbindlichkeiten beträgt, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahr-scheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig besei-tigt werden wird (Zahlungsstockung). Bei der Frage, ob die Pflichtverletzung des Geschäftsführers für den Steuerausfall kausal ist, weil der Fiskus mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens der GmbH ohnehin leer ausgegangen wäre, kommt es allein darauf an, ob bei Fälligkeit der Steuerforderung entsprechende Liquidität zur Auszahlung verfügbar gewesen wäre. Dies war nach Vor-bringen der Revision am 10.08.2001 der Fall.

Die Haftung der Geschäftsführer entfällt auch nicht in Folge einer im Falle der Entrichtung der Lohnsteu-er zum Fälligkeitstermin möglichen Anfechtung der Zahlung durch den Insolvenzverwalter (§ 129 ff. In-solvenzordnung). Die bloße Möglichkeit einer Insolvenzanfechtung hindert nicht, den durch die pflicht-widrige Nichtabführung eingetretenen Steuerausfall den Geschäftsführern zuzurechnen (keine Berück-sichtigung von hypothetischen Kausalverläufen).

Der Senat hat hier hinterfragt, ob die Lohnsteuerabführungspflicht der Geschäftsführer mit der Stellung des Insolvenzantrags suspendiert sein könnte.

In seinem Urteil in BFHE 216, 491 hat der Senat entschieden, dass das zivilrechtliche Zahlungsverbot aus § 64 Abs. 2 GmbHG eine Haftung wegen Nichtzahlung fälliger Steuern allenfalls innerhalb der 3-wöchigen Antragsfrist, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfä-higkeit gem. § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt ist, ausschließt. Das könnte es jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in dem die Geschäftsführer nach der Feststellung des FG den Insolvenzantrag we-gen drohender Zahlungsunfähigkeit „freiwillig“ gestellt haben (damit hätte sich der Eröffnungsgrund auf § 18 InsO kapriziert) und somit im Sinne eines „Erst-recht-Schlusses“ nahegelegt hätten, auch hier eine dreiwöchige Suspendierung der Lohnsteuerabführungspflichten anzunehmen.

Zwischenzeitlich hat der BGH jedoch entschieden (Urteil vom 14.05.2007 II ZR 48/06, Deutsches Steuer-recht 2007, 1174, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2007, 1242), dass selbst für diesen Zeitraum die zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Nichtabführen der Steuer entfalle, weil dem or-ganschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden könne, die Massesicherungspflicht nach § 62 Abs. 3 des Aktiengesetzes (AktG), § 64 Abs. 2 GmbHG zu erfüllen und fällige Leistungen an die Sozialkassen oder die Finanzämter zu erbringen, wenn sie sich dadurch einer persönlichen (deliktischen) Haftung aus § 823 Abs. 2 des BGB in Verbindung mit § 266 a StGB, aus §§ 34, 69 AO oder der Bestrafung nach § 266a StGB aussetzen würden. So sind die entsprechenden sozial- und steuerrechtlichen Vorschriften im Rah-men der mit § 92 Abs. 3 AktG, § 64 Abs. 2 GmbHG anzustellenden Prüfung auch mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmannes vereinbar zu sein.


2. Die Auffassung des Finanzgerichts, dass die Pflichtverletzung der Kläger auch im Streitfall eine grobe Fahrlässigkeit indiziert, weil sie keine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe glaubhaft machen konnten, hält jedoch der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die subjektive Voraussetzung der Haftung nach § 69 AO ist zwar regelmäßig zu bejahen, wenn die auf die ausgezahlten Löhne entfallenden Lohnsteuern nicht abgeführt werden. Die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens eines gesetzlichen Vertreters indiziert im Allgemeinen den Schuldvorwurf (ständige Rechtsprechung, Senatsbeschluss vom 25.07.2003 VII B 240/02, BFH/NV 2003, 1540, m. w. N.). Aller-dings schließt das nicht aus, dass besondere, vom Kläger glaubhaft zu machende Gründe im Einzelfalle die Pflichtverletzung entschuldigen oder nur den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit rechtfertigen.

Sache des Tatsachengerichts ist die Feststellung der Voraussetzung der groben Fahrlässigkeit und mit der Revision nur bedingt angreifbar. Die Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt nur der Frage, ob das Finanzgericht den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Gra-des der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat. Allgemein liegt grobe Fahrläs-sigkeit dann vor, wenn der Schuldner bei seinem Handeln ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt oder beiseite schiebt oder dasjenige unbeachtet bleibt, was sich im vorgegebenen Fall jedem aufgedrängt hätte, so dass von einer subjektiv schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzung auszugehen ist (vgl. BGH-Beschluss vom 27.09.2007 IX ZB 243/2006, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2007, 1150, m.w.N.). Nach der BFH-Rechtsprechung zu § 69 AO ist dementsprechend grobe Fahrlässigkeit anzuneh-men, wenn der Geschäftsführer die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumut-bare kaufmännische Sorgfaltspflicht in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat.

Diese Grundsätze hat das Finanzgericht bei der Beurteilung des klägerischen Verhaltens als grob fahrläs-sige Verletzung der Lohnsteuerabführungspflicht nicht hinreichend beachtet. Das Gericht hat unter den im Streitfall gegebenen besonderen Umständen zu hohe Anforderungen an die Sorgfalt der Geschäftsfüh-rer gestellt, die von einem kaufmännischen Leiter (Geschäftsführer) zur ordnungsgemäßen Erfüllung sei-ner steuerlichen Pflichten erwartet werden konnte.

Der Würdigung der Beweisaufnahme durch das Finanzgericht ist zu entnehmen, dass es als Rechtferti-gungs- bzw. Entschuldigungsgrund nur einen Rechtsirrtum der Kläger über ihre Verfügungsberechtigung nach Stellung des Insolvenzantrags in Betracht gezogen hat. Das Finanzgericht hat nur den Beweis erho-ben, ob die Insolvenzrichterin und / oder der Insolvenzverwalter den Klägern auf Nachfrage geraten ha-ben, sie sollen nunmehr alle Zahlungen unterlassen. Auch konnte die Richterin selbst sowie der Insol-venzverwalter zu dem Zeitpunkt nicht wissen, ob der Insolvenzverwalter als schwacher vorläufiger oder starker vorläufiger Verwalter eingesetzt würde. Selbst wenn unterstellt wäre, dass der Insolvenzverwalter als „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden wäre, hätten die Kläger ihrer Verpflichtung auf Zahlung der Lohnsteuer nachkommen müssen. Nachdem die das Finanzgerichts nicht überzeugen konnte, hat es nicht hinreichend untersucht, ob angesichts der seinerzeit noch nicht aufgelösten Pflichten-kollision zwischen Massesicherung auf der einen Seite und Steuerzahlung auf der andere Seite, die nach-gewiesenen Aktivitäten der Kläger in der finanziellen Krise ihrer Gesellschaft geeignet und ausreichend waren, um die grobe Fahrlässigkeit der Nichtabführung der Lohnsteuer auszuschließen.

Aus Rechtsgründen bestand dazu Veranlassung, da das Finanzgericht den Klägern selbst attestiert hatte, sich mit der frühen Antragstellung sehr umsichtig verhalten zu haben. Dabei war zu berücksichtigen, dass im Streitjahr 2001 in der zivilrechtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH-Urteil vom 08.01.2001 II ZR 88/99, BGHZ 146, 262) die Auffassung bestand, dass sich der Geschäftsführer, der in insolvenzreifer Zeit Steu-ern an das Finanzamt abführt, der GmbH gegenüber in voller Höhe gem. § 64 Abs. 2 GmbHG schadener-satzpflichtig macht (die seinerzeit erklärte „rechtliche Unmöglichkeit“). Andererseits war gefestigte Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Steuerzahlung nicht dadurch entfällt, dass sie möglicherweise mit einer privatrechtlichen Schadenersatzverpflichtung gem. § 64 GmbHG konkurriert (Urteil vom 20.04.1993 VII R 67/92, BFH/NV 1994, 142; Beschluss in BFH/NV 1999, 745).

Den Klägern, die sich angesichts dieser unterschiedlichen Normbefehle einer vermeintlich unabwendba-ren Haftungsandrohung ausgesetzt sahen, kann jedenfalls nicht der Vorwurf grober Fahrlässigkeit ge-macht werden, wenn sie ihre Pflichten zur Lohnsteuerabführung angesichts dieser Unklarheit über ihre Pflichten entsprechend den von dem erkennenden Senat im BFHE 216, 491 angestellten Überlegungen nicht unverzüglich erfüllen, sondern – ohne überhaupt die gesetzlich eingeräumte 3-Wochen-Frist in An-spruch zu nehmen – die Maßnahmen des Insolvenzgerichts abwarten.

Ein diesbezüglich eingeholter seriöser Rechtsrat hätte nur ergeben können, dass bei noch vorhandener Liquidität der GmbH die abgabenrechtliche Haftung der Geschäftsführer jedenfalls bis zur Stellung des Insolvenzantrags vor der bisherigen BFH-Rechtsprechung grundsätzlich bejaht worden war, während die Möglichkeit einer Haftungsfreistellung im Falle eines am Tag der Fälligkeit der Steuerschuld gestellten Insolvenzantrags in der Rechtsprechung noch nicht behandelt, folglich auch noch nicht abgelehnt worden war. Dass die Kläger diesen Weg eingeschlagen haben in der Annahme, durch die Stellung des Insol-venzantrags von ihren Zahlungspflichten (besonders) – auch gegenüber dem Fiskus – frei zu sein, muss in dieser besonderen Situation bei der Beurteilung des Verschuldens der Kläger zu ihren Gunsten berichtigt werden und schließt im Streitfall ausnahmsweise die haftungsbegründende grobe Fahrlässigkeit im Sinne der § 69, 34 AO aus.


Anmerkung des Autors:

Wieder einmal zeigt sich, dass die Finanzgerichtsbarkeit mit der zivilen Gerichtsbarkeit im Rahmen des Insol-venzrechts überhaupt nicht übereinstimmt. Die unterschiedlichen Grundsatzurteile führen dazu, dass Geschäfts-führer und / oder Vorstände von Aktiengesellschaften völlig unsicher in ihren Handlungen bei einer drohenden oder schon eingetretenen Zahlungsunfähigkeit sind. War in der Zwischenzeit nach Einführung der neuen Insol-venzordnung die so genannte „rechtliche Unmöglichkeit“ gegeben, kam hier die Meinung auf, dass damit der Geschäftsführer selber eine anfechtbare Rechtshandlung durchführt, die ihn in eine persönliche Haftung im Rahmen der Anfechtung durch den Insolvenzverwalter brachte.

Somit führen die Grundsatzurteile des BFH dazu, dass die Finanzämter und die Sozialversicherungsträger durch Ausurteilung wieder in einer quasi exponierte Stellung innerhalb der Gläubigerklassen steht. Wollte der Gesetz-geber mit dem Einsatz der neuen Insolvenzordnung vermeiden, dass die alte Gläubigerklassifizierung weiter Bestand hat, dann haben die unterschiedlichen Grundsatzurteile dazu geführt, dass nunmehr die so genannten „Berufsgläubiger“ sich wieder einen besonderen Stand verschafft haben.

Somit ist allen Geschäftsführern, Inhaber und Vorständen zu empfehlen, auch mit „letzten Mitteln“ vor Insol-venzantrag Sozialversicherung, Finanzamt und sonstige „Bevorrechtigte“ zu bezahlen. Im Einzelfall und auf die Unternehmenssituation bezogen ist jedoch der Hinzuzug eines insolvenzrechtserfahrenen Anwalts unbedingt nötig, damit das beschriebene Szenario verhindert werden kann.


[ 01.03.2013 ]



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