Überschuldung der Kapitalgesellschaft als handelsrechtlicher und insolvenzrechtlicher Tatbestand

Definition des Überschuldungsbegriffs
Die aktuelle Überschuldungsdefinition galt bereits zu Zeiten der Konkursordnung und wurde durch die Literatur sowie die BGH-Entscheidung vom 13.7.1992 geprägt (der „Dornier-Fall“; BGHZ 119, 201, 214). Nach einer temporären Änderung des Überschuldungs-Begriffs im Rahmen des Inkrafttretens der Insolvenzordnung 1999 wurde der Begriff durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom 17.10.2008 in der InsO in seiner jetzigen Fassung festgeschrieben. Rein rechnerisch überschuldete Unternehmen sollten während der damaligen Finanzmarktkrise der Insolvenzantragspflicht entgehen, sofern sie eine positive Fortführungsprognose nachweisen konnten. Ursprünglich war diese Überschuldungsdefinition bis zum 31.12.2010 befristet, wurde dann bis Ende 2013 verlängert und schließlich 2012 gänzlich entfristet, weil sie sich in der Praxis bewährt hat.

Im Kern ist für juristischen Personen und ihnen gleichgestellten Personenhandelsgesellschaften (z.B. GmbH & Co. KG) die Überschuldung weiterhin ein Insolvenzantragsgrund, da gem. § 15a InsO die Schuldnerin bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung spätestens drei Wochen nach Feststellung der Überschuldung einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen hat. Eine Überschuldung liegt vor, wenn bei Aufstellung des Jahresabschlusses zu konstatieren ist, dass das Vermögen des schuldnerischen Unternehmens die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Der Gesetzgeber hat dies jedoch durch das o.g. Finanzmarktstabilisierungsgesetz insoweit eingeschränkt, dass der Antragsgrund Überschuldung dann und nur dann nicht besteht, wenn gleichzeitig die Fortführung des Unternehmens den Umständen nach überwiegend wahrscheinlich ist.

Haftungsrisiken für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (Hinweispflichten)
Steuerberater waren in der Vergangenheit bekanntlich nicht verpflichtet, ihre Mandanten im Rahmen eines allgemeinen Steuerberatungsmandats auf eine mögliche Insolvenzreife hinzuweisen. Bei einer handelsbilanziellen Überschuldung bestand damit grundsätzlich keine Hinweispflicht des Beraters gegenüber dem Geschäftsführer einer GmbH, eine Überprüfung der Insolvenzreife vorzunehmen. Eine Haftung des Steuerberaters für einen Verschleppungsschaden wegen eines unterlassenen Hinweises konnte danach nur eintreten, wenn er ausdrücklich mit der Prüfung der Insolvenzreife der GmbH beauftragt war oder aus eigenem Antrieb Erklärungen dazu abgab. Dies hatte der BGH im Jahre 2013 so entschieden (BGH v. 7. März 2013, IX ZR 64/12, Stbg. 2013, 278; BGH v. 6. Juni 2013, IX ZR 204/12, WM 2013, 1323; BGH v. 6. Februar 2014, IX ZR 53/13, WM 2014, 577). Allerdings ist der BGH bereits 2017, also nach knapp vier Jahren, davon wieder abgerückt und hat die Anforderungen an Steuerberater erheblich ausgeweitet mit der Folge, dass deren Haftungsrisiken sich spürbar erhöht haben (BGH v. 26. Januar 2017 – IX ZR 285/14, WM 2017, 383 und Stbg. 2017, 180).

Der BGH entschied, dass der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses beauftragte Steuerberater prüfen müsse, ob auf der Grundlage der ihm vorliegenden Unterlagen und bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten existieren, die einer Fortführung der Unternehmens-tätigkeit entgegenstehen. Ist dies der Fall, dürften im Jahresabschluss nicht ohne weiteres die Fortführungswerte zugrunde gelegt werden. Weiterhin entschied der BGH, dass der Steuerberater seine Mandanten in diesem Zusammenhang auf einen potenziellen Insolvenzgrund und die daraus abgeleitete Prüfungspflicht des Geschäftsführers hinweisen muss, insbesondere, wenn die Annahme nahe liegt, dass diesem eine mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.

Anforderungen an die Überschuldungs- bzw. Zahlungsfähigkeitsprüfung
Was heißt das für die Praxis der Beratung? Zunächst ist damit noch einmal klar gestellt, dass die handelsbilanzielle Überschuldung allein keine Insolvenzantragspflicht konstituiert. Doch führt dieser Umstand keineswegs zu einer Vereinfachung, sondern macht die Sachlage durchaus komplexer, weil die Lösung unter Umständen mehrstufig sein muss. Denn es ist nunmehr zunächst zu prüfen, ob die handelsbilanzielle Überschuldung tatsächlich auch eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne darstellt. Wie soll diese Prüfung erfolgen?

Gemäß IDW S-11 ist eine Prüfung der möglichen Antragspflicht i. S. d. § 19 InsO in zwei Stufen vorzunehmen: (1) Erstellen einer Fortbestehensprognose. Ist diese positiv, besteht keine Antragspflicht nach § 19 InsO und der Jahresabschluss kann unter dem Fortführungsaspekt aufgestellt werden.

Ist diese negativ, muss (2) ein Überschuldungsstatus aufgestellt werden, mittels dessen zu prüfen ist, ob die Gesellschaft (noch) über positives Reinvermögen verfügt. Ist dies der Fall, liegt ggf. eine drohende Zahlungsunfähigkeit vor, was zumindest ein Insolvenzantragsrecht des schuldnerischen Unternehmens konstituiert. Die Erstellung des Überschuldungsstatus ist verhältnismäßig aufwendig, da bilanzielle Rechnungslegungsgrundsätze dabei keine Anwendung finden, sondern der Status im Wesentlichen von Ansatz- und Bewertungsspielräumen geprägt ist. Im Unterschied zur Handelsbilanz gelten handelsrechtliche Aktivierungsverbote im Überschuldungsstatus nicht, stille Reserven werden aufgedeckt, ausstehende Einlagen werden – sofern werthaltig – aktiviert, sonstige immaterielle Vermögenswerte – sofern veräußerbar – werden zu Verkehrswerten angesetzt usw.

Weist bei negativer Fortbestehensprognose gleichzeitig auch der Überschuldungsstatus ein negatives Reinvermögen aus, liegt definitiv eine Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vor.

Frühzeitige Prüfung ermöglicht Sanierung ggfs. durch ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung gem. § 270a InsO
Auch die Fortbestehensprognose ist keineswegs trivial, da sie nicht ohne weiteres aus der Buchhaltung zu entwickeln ist, denn sie ist im Kern eine Zahlungsfähigkeitsprognose. Sie prüft also den Finanzplan des Unternehmens und das Unternehmenskonzept daraufhin, ob das Unternehmen annahmegemäß in der Lage ist, im laufenden und folgenden Geschäftsjahr seine jeweils fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen, also die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit überwiegend wahrscheinlich ist. Dabei müssen Umfang und Details der Fortbestehensprognose dem Stadium und dem Ausmaß der aktuell bestehenden Unternehmenskrise angemessen sein.

Das gesetzgeberische Ziel, durch die Präzisierung bzw. teilweise Neufassung des Überschuldungsbegriffs frühzeitige(re) Insolvenzanträge zu ermöglichen und somit Sanierungen unter dem Schutz der Insolvenzordnung zu fördern, ist durchaus sinnvoll. Allerdings dürften wir von diesem Ziel noch immer ein Stück weit entfernt sein, denn nach wie vor wird die überwiegende Mehrheit der Insolvenzanträge erst bei faktischer Zahlungsunfähigkeit, also in einem sehr späten Stadium der Unternehmenskrise gestellt. Eine gerichtliche Sanierung im Rahmen der InsO ist in diesen Fällen aufgrund des häufig bereits fortgeschrittenen Verzehrs der schuldnerischen Vermögenswerte erheblich erschwert. Trotz der neuen Sicht auf die insolvenzrechtliche Überschuldung wird der nunmehr geltende Überschuldungstatbestand nur dann eine rechtzeitige Sanierung ermöglichen, wenn auch der Schuldner dessen Funktion als Krisenfrüherkennungsinstrument begreift. In diesem Zusammenhang sei noch einmal daran erinnert, dass der vorsichtige Kaufmann bereits bei Verlust von 50 Prozent des Stammkapitals eine Überschuldungsprüfung vornehmen sollte. In diesem Fall ist er überdies gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG dazu verpflichtet, unverzüglich eine Gesellschafterversammlung einzuberufen.

Fazit
Hier sind auch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer mehr denn je gefordert! Denn eines ist – ungeachtet der jeweils aktuell gültigen Fassung des Überschuldungsbegriffes – unstrittig: Je früher mit der Sanierung begonnen wird, desto besser sind die Erfolgsaussichten. Daher ist es auch immer empfehlenswert, bei der sachgerechten Prüfung der Insolvenzantragsgründe und möglicher Insolvenzreife i. S. d. §§ 17-19 InsO, erfahrene Experten hinzuzuziehen, um Sanierungsinstrumente und –möglichkeiten zu prüfen sowie Haftungsrisiken und Anfechtungsansprüche für die Berater zu minimieren.

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